Angst beim Reiten, Angst vor dem eigenen Pferd – was tun?
Ich gebe zu, ich war mal ein sehr ängstlicher Reiter. Das war ganz früher, als ich gerade reiten lernte. Ich hatte Angst beim Reiten vor dem buckelnden Pony Charly, ich hatte Angst vor dem Reiten, nicht schnell genug den riesigen Rosenkavalier zu trensen und zu satteln, ich hatte Angst davor, in der Reitstunde etwas nicht zu verstehen und angeschrien zu werden. Und ehrlich, das kam häufig vor: Ich erinnere mich mit Grauen an die Reitstunde in der Abteilung. Mein Rosenkavalier, ausgebunden hinter den anderen hertrottend. Ich, hilflos lenkend vor der Aufgabe, eine Schlangenlinie mit vier Bogen zu reiten. Als ich dann noch eine halbe Parade geben sollte und ich absolut keine Ahnung hatte, was das sein sollte, brüllte die Dame in der Mitte los: Ich sei eine blöde Kuh und könne nicht reiten.
Ich war zehn Jahre alt. Natürlich habe ich geweint. Natürlich hat sich die Angst manifestiert.
Meine Karriere als Angstreiter begann. Geändert hat sich das erst in einem anderen Reitstall, mit sicheren Schulpferden und ruhigen niveauvollen Reitlehrern.
Aber warum haben heute so viele Reiter Angst? Mittlerweile ist die Auswahl an Reitställen viel größer, man darf sich freie Trainer heraussuchen und kann sich weiterbilden. Dennoch; viele Reiter haben Angst. Auch Angst vor dem eigenen Pferd.
Ängste verursachen oft starke körperliche und psychische Beschwerden
Der Angst beim Reiten auf der Spur
Angst ist zunächst etwas ganz natürliches; Angst ist ein Schutzreflex des Körpers, quasi noch aus der Steinzeit. Angst brauchen wir, um zu überleben – salopp gesagt. Wenn wir Angst haben, spannen sich die Muskeln an, das Herz schlägt schneller, Stresshormone wie Cortisol oder Adrenalin werden ausgeschüttet. Der Stresszustand klingt nach überstandener Gefahr ab, Entspannung tritt ein. Angst ist in unserem modernen Alltag reichlich vorhanden: Die Angst beim Fliegen, die Angst vorm Zahnarzt, die Angst vor Spinnen…
Diese Ängste sind oft krankhaft. Bei den Betroffenen finden sich keine unmittelbaren Gefahren – eigene erlernte Verhaltensmuster durch Vermeidungstaktiken oder einschneidende Erlebnisse führen zu einer Angststörung.
Angst beim Reiten – Beispiele
Der Reiter befindet sich mit seiner Angst in einem Teufelskreis: Vermeidet er das Reiten im Galopp, weil es Angst macht oder bewegt er sein Pferd dadurch zu wenig, wird sich das Pferd irgendwann Luft verschaffen wollen – der Reiter fühlt sich dadurch in seiner Angst bestätigt. Hat ein Reiter Angst beim Ausreiten, meidet er das künftig. Als Folge wird das Pferd noch schreckhafter im Gelände, wieder fühlt sich der Reiter seiner Angst bestätigt.
Einige Pferdebesitzer sind mit ihrem halbstarken Fünfjährigen überfordert, haben Angst, das Pferd zu führen: Natürlich reagiert ein Pferd darauf und wird versuchen, die Führung zu übernehmen. Wieder fühlt sich der Ängstliche bestätigt.
Ängste verursachen bei den Betroffenen hohen Leidensdruck
Das sind natürlich nur einige Beispiele, Ängste sind häufig differenzierter.
Angst beim Reiten ist immer noch ein Tabuthema, die Angst, nicht ernstgenommen zu werden, ist groß. Betroffene Reiter hören häufig Sprüche wie “Stell dich doch nicht so an”, “zeig ihm einfach wer der Chef ist”, “verkauf dein Pferd halt”. Nichts davon hilft den Betroffenen. Ängste sind ja auch nicht auf einmal da, Ängste entstehen: Durch einen Sturz, einen Schock oder eine Lebensveränderung. Ich kenne einige Mütter, die vor ihren Kindern zu den mutigsten Reitern gehörten und sich jetzt kaum mehr ins Gelände trauen. Die Angst wiegt schwer, die Verantwortung für die Familie auch.
Was tun gegen Angst beim Reiten?
Ihr habt Angst beim Reiten und wollt gerne wieder mit Spaß und Freude auf eurem Pferd sitzen? Analysiert zunächst einmal selber, was euch wie und wo ängstigt:
Führe ein Tagebuch gegen die Angst
Schreibt einmal für euch auf, welche Situationen euch Angst bereiten. Gab es einen Auslöser oder kam die Angst schleichend?
Achte auf körperliche Fitness
Angst beim Reiten oder Angst vor Pferden hat auch viel mit dem eigenen Körper zu tun. Wer durchtrainiert ist und eine gute Körperspannung aufweist, sitzt viel sicherer auf dem Pferd. Ich kenne viele ängstliche und unsichere Reiter, die zu wenig Bauchmuskulatur haben: Oft können diese Reiter auch nicht lange aussitzen oder bringen ihr Pferd durch die fehlende Spannung nicht in den Galopp. Alternative Sportarten zum Ausgleich schaffen hier Abhilfe, ein besseres Körpergefühl hilft auch gegen Angst. Denn wer klemmt, sitzt nicht sicher.
Bodenarbeit gegen die Angst und für Vertrauen
Ist die Angst im Umgang mit dem eigenen Pferd dominant, holt euch kompetente Hilfe: Häufig irritiert eure Körpersprache das Pferd, dass dann versucht die Führung zu übernehmen. Kurse in Bodenarbeit und regelmäßige Arbeit mit deinem Pferd am Boden bringen euch beide das nötige Vertrauen wieder.
Schlechtes Stallklima pusht Ängste
Bei leichten Ängsten hilft es schon, den Stress zu reduzieren: Vielleicht ist der Stall nicht die passende Umgebung für euch? Das Stallklima ist schlecht und schlägt euch auf den Magen? Das Pferd wird hier nicht gut versorgt? Sitzt da vielleicht die Ursache?
Testet Entspannungsübungen – auch auf dem Pferd
Entspannungsübungen und bestimmte Atemtechniken sind ein Mittel der Wahl, mit Ängsten umzugehen. Autonomes Training, Muskelentspannung, Meditation uvm. helfen euch bei leichten Ängsten. Versucht, die Atemübung auch auf dem Pferd umzusetzen. Nichts ist schlimmer, als eine flache panische Atmung oder gar die Luft anzuhalten vor Anspannung!
Ich habe meine Reitschüler immer animiert, “Hänschen klein” oder andere Kinderlieder zu singen: Erstens sorgt das für Lacher (Lachen ist die beste Medizin), zweitens überlegten die Reitschüler, ob sie den Text noch zusammen kriegen und vergessen für einen Moment ihre Anspannung. Und Singen entspannt zu guter letzt tatsächlich!
Angst? Du bist nicht alleine!
Such dir Verbündete: Nichts ist schlimmer, als mit seinen Ängsten alleine dazustehen. Mittlerweile gibt es viele Foren und Facebookgruppen rund um das Thema “Angstreiter”. Hier kannst du dich austauschen und Ratschläge einholen.
Überwinde deine Angst mit einem anderen Pferd
Ist deine Angst beim Reiten vor deinem Pferd sehr groß, versuche doch einmal ein anderes Pferd zu reiten. Finde heraus, ob die Angst pauschal besetzt ist oder nur dein Pferd betrifft.
Kleine Schritte bringen dich ans Ziel
Kleine Fortschritte sind große Schritte, wenn du Angst beim Reiten hast. Klopf dir selber auf die Schulter, wenn du einen entspannten Tag im Stall hattest. Du musst dein inneres Gleichgewicht wiederfinden, ohne Stress. So hilfst du dir selber, das Vertrauen zurück zu bekommen.
Angstreiter brauchen kompetente Hilfe
Ist die Angst beim Reiten stärker ausgeprägt, solltet ihr euch überlegen, professionelle Hilfe eines Therapeuten in Anspruch zu nehmen. Vor allem, wenn die Angst ein echtes Handicap geworden ist. Zusätzlich gibt es mittlerweile sehr gute Reitlehrer, die sich auf “Angstreiter” spezialisiert haben. In einigen Fällen profitieren du und dein Pferd von Fremdberitt oder sogar vom Verkauf – als letzte Maßnahme (sich quälen bringt nichts, da verlieren Pferd und Reiter).
Natürlich deckt der Text nur einen ganz kleinen Teil einer großen Problematik ab. Ich wollte das Thema einmal anschneiden; gibt es Bedarf, mehr darüber zu schreiben? Wünscht ihr euch eine bestimmte Themenrichtung in Bezug auf die Angst beim Reiten?
Ich bin gespannt auf eure Erfahrungen, schreibt mir in die Kommentare,
Cheers, Victoria
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Dieser Beitrag ersetzt keinen ärztlichen Rat und ist nur allgemein geschrieben. Bei Angststörungen solltet ihr mit eurem Arzt darüber sprechen.