Seit Olympia gerät Pferdesport mehr und mehr in den Fokus der Öffentlichkeit, und das vor allem negativ besetzt. Klar, Kritik an Leistungssport gab es schon immer, gerade Galopprennpferde und Trabrennpferde haben den Stempel der gequälten Pferde auf. Aber ist Pferdesport per se Tierquälerei?
Ein Pferd sei ja gar nicht dafür gemacht, Reiter zu tragen: Das Argument hat Flügel bekommen und saust seitdem durch die sozialen Medien wie kaum ein anderes. Was ist dran an dieser Aussage? Dazu müssen wir zunächst in die Vergangenheit reisen. Denn Pferdezucht und Reitervölker gibt es seit Tausenden von Jahren. Da waren beispielsweise die Skythen:
“Das Nomadenvolk der Skythen, das in der Eisenzeit ungefähr vom 9.-1. Jhdt. vor Christus in den zentralasiatischen Steppen lebte, war für seine Reit- und Kriegskünste bekannt. Die Skythen gehörten zu den Ersten, die auf Pferden ritten und vom Pferderücken aus mit dem Bogen schossen. Eine internationale Studie mit Beteiligung des Instituts für Genetik der Universität Bern zeigt nun, auf welche Eigenschaften die Skythen bei der Zucht ihrer Pferde achteten, um sie für ihre Zwecke anzupassen.“(…) Quelle
Nun gab es schon früher Menschen, die ritten, nun gut. Aber es gab ja auch keine Autos oder Fahrräder, da war es ja absolut nötig für die Menschen. Heute bräuchte man das Pferd hier nicht mehr als Ersatz für einen fahrbaren Untersatz – sagen Tierschützer*. Das klingt natürlich plausibel. Jetzt sind unsere Pferde nicht mehr die Gebrauchsrassen von früher, die einst auf vier Urtypen zurückgehen:
Die vier Pferde-Urtypen
Einst gab es noch keine große Rassevielfalt. Da gab es vier Typen von Pferden, die sich hinsichtlich ihrer Herkunft unterschieden: Das zähe und robuste Nordpony (Nordeuropa, Ostasiens) das gut getarnte graubraune Tundrenpony, dem wenig Futter und klirrende Kälte nichts anhaben konnten, das relativ kleine (120 Zentimeter) Steppenpferd mit erhobenen Kopf und Hals, um Feinde rechtzeitig zu orten und das große Ramskopfpferd (Asien, Nordafrika, Südeuropa), dass ein ausgezeichneter Springer(!) war. (Quelle)
Kurze Lebensdauer – kein Platz für Wehwehchen
Die Pferde sollen bereits ca. 30.000 vor Christus domestiziert worden sein: Erst waren sie Fleischlieferanten, dann Last- und Zugtiere und später erst Reittiere. Die Lebenserwartung der Menschen und auch der Pferde lag früher nicht sehr hoch. Da fielen dann viele Krankheiten, die durch unsachgemäße Belastung oder Haltung, schlicht nicht auf. Überleben war wichtig, der Rest war weniger wichtig.
Das ist jetzt kurz ausformuliert, fairerweise muss man auch sagen, dass viele Völker oder Stämme auf die Tiere angewiesen waren und sich den Umständen entsprechend gut um sie gekümmert haben.
So ist das auch noch heute in Schwellenländern oder Gegenden, wo der Mensch schwankenden Belastungen (Umwelt, Armut, Politik etc.) ausgesetzt ist.
Ist denn ein Pferd nun zum Reiten gebaut oder nicht?
Auch hier geht es nicht ohne Umschweife ans Ziel, sorry: Wir müssen erst den körperlichen Aufbau des Pferdes verstehen. Ich möchte an dieser Stelle zitieren:
(…) “Jedes Pferd hat ein Knochenskelett in seinem Körper. Dies stabilisiert, schützt und ermöglicht die Fortbewegung auf dem Land. Die Rückenwirbelsäule des Pferdes ist konstruiert wie eine Hängebrücke. All seine inneren Organe werden durch die Wirbelsäule getragen und durch den Brustkorb geschützt wie zum Beispiel das Herz, die Lunge, die Leber, das Milz, der Magen, der Darm und bei einer trächtigen Stute auch das ungeborene Fohlen.
Die Muskeln stabilisieren die Wirbelsäule, denn in der Wirbelsäule verlaufen wichtige Nervenbahnen. Über das Rückenmark im Wirbelkanal steuern sie Reflexe und bewusste sowie unbewusste Reaktionen. Die Wirbelsäule selbst ist wenig geschützt, jede Einwirkung auf den Rücken wirkt sich unmittelbar auf die beweglichen Wirbelkörper aus.
Die Wirbelsäule besteht aus einzelnen Wirbeln, die über Knorpelscheiben verbunden sind. Dieses System ermöglicht Bewegung und gleicht Gewichtsunterschiede aus. Wenn die Wirbel sich zu stark bewegen, stoßen die knöchernen Fortsätze der Wirbel aneinander, was sehr schmerzhaft ist.
Ein Pferd mit starken Rückenschäden kann nicht mehr geritten werden und keine Fohlen mehr bekommen.” (…)
Obigen zitierten Absatz habe ich aus dieser Quelle kopiert. Die Arbeit befindet sich auf der Seite des Lycée Ermesinde. Ich mag die einfache bildhafte Beschreibung sehr, sie veranschaulicht anatomischen Laien wie mir die empfindliche Anatomie eines Pferdes.
Die Wirbelsäule des Pferdes – ohne Muskeln drohen Schäden
Tatsächlich ist es so, dass ein Pferd nur Gewichte tragen kann, die nicht zu schwer sind, die geschmeidig einwirken. Und das Pferd selbst muss gut geritten, sehr gut bemuskelt und gesund sein. Idealerweise sind das die besten Voraussetzungen, um ein Pferd zu reiten – ohne, dass es Schäden davon trägt. Wieviel Gewicht noch gesund ist, darüber habe ich schon einmal hier geschrieben.
Wir wissen nun, dass Pferde schon immer als Nutztiere, Lasttiere oder Reittiere genutzt werden. Wir wissen auch, dass die Anatomie nicht die beste ist, um ständig viel Gewicht umherzuschleppen. Ist dann Reitsport Tierquälerei? Ich sage ganz klar JEIN.
Ist Reiten jetzt Tierquälerei oder nicht?
Der Profi-Reitsport: Hop oder Top
Wie in jedem Sport oder in jeder Sparte gibt es hier tierschutzrelevante Fälle und es gibt eine große Grauzone und die Idealhaltung. Am Profisport wird häufig herumgenörgelt, allerdings werden hier die Pferde meist am besten versorgt: Die Tiere sind das Kapital, sehen regelmäßig Hufschmied und Tierarzt, werden regelmäßig bewegt und mittlerweile häufig sehr artgerecht gehalten. Viele Rennpferde leben mittlerweile in Offenställen, man staune.
Ich will nichts schönreden, auch im Profisport gibt es immer wieder ganz unschöne Dinge zu sehen, alle sind erstmal künstlich empört. Wie kann das sein! Nun, da es Menschen gibt, gibt es eben Menschen unterschiedlicher Natur, mal mit mehr oder weniger Skrupel. Ist das gut? Nein. Ist das Tatsache? Ja.
Wichtig ist, dass Quälerei keine Lobby hat. Dass Richter und Richterinnen im Turniersport Farbe bekennen und öfter mal die rote Karte ausspielen, wenn angebracht. Auch wir als Zuschauer tragen eine Mitverantwortung.
Kein Geld für den Tierarzt, Rückenschäden durch schlechte Reiter – der Freizeit-Reitsport
Im Freizeitsport sieht es ähnlich aus: Viele Pferde werden artgerecht gehalten und regelmäßig bewegt. Leider kosten Pferde im Unterhalt recht viel, und einige Pferdebesitzer im Freizeitsport sparen an Tierarzt, Sattler oder Reitstunden. Oft ungewollt, weil Preise steigen. Oder im Vorfeld nicht genau berechnet wurde, was so ein Pferd kosten kann.
Nicht umsonst haben mittlerweile rund 25-30 Prozent aller Pferde hierzulande Rückenschäden. Das kommt auch von – ganz vereinfacht gesagt – nicht sachgemäßer Ausbildung, Reitweise oder Haltung.
Verantwortung – auch im Alter
Tatsächlich müssen wir noch genauer hinsehen: Die Lebenserwartung unserer Rösser ist stark gestiegen, seit die Skythen durch die Steppe galoppiert sind. Spätschäden, die es früher gar nicht gab, weil, wir erinnern uns, Ross und Reiter arg früh starben, traten damals gar nicht auf. Das entbindet uns Reitende aber nicht von der Verantwortung, gut für unsere Pferde zu sorgen und dazu gehört auch der Aufbau der richtigen Muskulatur, eine gesunde Reitweise und die artgerechte Haltung. Dann klappts auch mit dem Reiten – ohne Quälerei.
Fazit
Reit- und Pferdesport ist nicht nur schwarz-weiß. Es gibt tierschutzrelevante Fälle, wo jeder Fall einer zuviel ist. Wo aber nicht so genau hingeschaut wird, ist unsere Grauzone: Viel zu schwere Reiter. Herumdoktern, weil der Tierarzt so teuer ist. Keine regelmäßige Sattelanpassung und drückendes Equipment über Jahre. Schlechtes Reiten, weil man glaubt, es gut genug zu können (Nein!). Unsachgemäße Haltung. All you can eat für alle Pferderassen (noooo!). Das sind so Sachen, da rückt nicht gleich der Tierschutz an. Aber langfristig schaden diese Punkte einem Pferd.
Ein Pferd braucht viel Bewegung. Ein Pferd ist ein Dauerfresser und wandert auf der Suche nach Futter den lieben langen Tag durch die Prärie (sinnbildlich gesprochen). Ein Pferd braucht Schutz vor Wetter und Witterung. Ein Pferd braucht kompetente Menschen, die sein Wohlergehen – sein artgerechtes Wohlergehen – im Sinn haben.
Ein Pferd braucht keine Plüschpantoffel. Pferde brauchen Beschäftigung und Bewegung. Manche mehr als andere. Viele lieben es zu Springen oder auch zu Apportieren. Pferde sind vielseitig und es liegt an uns, ihre Begabung zu erkennen und zu fördern. Oder zumindest, sie artgerecht zu halten.
Unsere Pferde sind keine Wildpferde von früher
Unsere Pferde sind keine Wildpferde mehr. Sie wurden für verschiedene Zwecke speziell über Jahrhunderte gezüchtet: Ein Sportpferd will und soll gefördert werden. Ein Arbeitspferd braucht entsprechend Bewegung.
Pferde sind heute Begleiter für Menschen mit Behinderung, Helfer bei Polizeieinsätzen, Lehrer für Kinder, Spitzensportler in Wettkämpfen und viel mehr. Nur wenige dienen bei uns noch als ursprüngliche Arbeitshelfer (Rückepferde, Schlachtross, Wagenzieher).
Alles über einen Kamm zu scheren, Sätze wie “Springen ist Tierquälerei” ist absurd. Aber: Menschen empören sich gerne und erheben sich über andere. Währenddessen reflektieren aber genau diese Menschen oftmals nicht ihren eigenen Lebensstil. Hier herrscht noch viel Raum für Klärungsbedarf. Und das Googeln zum Dunning-Kruger-Effekt.
Wie findet ihr die Diskussion um den Pferdesport?
Tipp: Schaut mal bei Marc Lubetzki vorbei, der plaudert aus dem Nähkästchen, was (Wild-)Pferde wirklich brauchen.
*Das ist kein Tierschützer-Bashing. Die meisten Tierschützer haben nur das Beste für die Tiere im Sinn und leisten täglich ehrenamtlich wertvolle Arbeit.
Die meisten Reiter wollen auch nur das Beste für ihr Tier. Leider ist das Beste aus Reiter-Sicht nicht immer das Beste für das Pferd.